Windkraft – Ein Überblick
Dr.-Ing. Bernhard Hein
Zusammenfassung
Es ist inzwischen allgemeiner Konsens, dass zur Erreichung der Klimaneutralität ein Ausstieg aus der Verbrennung fossiler Energieträger (Erdöl, Erdgas, Kohle) unabdingbar ist. Die wichtigsten Alternativen sind die erneuerbaren Energien von Wind und Sonne und der wichtigste Energieträger wird vermutlich der elektrische Strom sein, zum großen Teilen erzeugt mit Hilfe von Windenergie. Auf 2% der Fläche Deutschlands können in 15 bis 20 Jahren mit Windrädern etwa 500 Milliarden kWh Strom pro Jahr erzeugt werden, das ist fast so viel Strom wie wir zur Zeit in Deutschland jährlich benötigen. Damit kann auch der zukünftige Bedarf von Elektroautos, elektrischen Wärmepumpen und anderen neuen Anwendungen gedeckt werden.
In diesem Artikel werden zunächst die wichtigsten Grundlagen und das Potenzial der Windenergie beschrieben. Es wird aufgezeigt, dass sich Windenergie und Photovoltaik übers Jahr gesehen sehr gut ergänzen. In der anschließenden Betrachtung werden wichtige Aspekte kritisch behandelt, die in Diskussionen immer wieder auftauchen.
Dieser relativ kurze Artikel erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, er hat den Stand Mai 2021 und gibt die Sicht des Autors wieder. Die verwendeten Daten beziehen sich auf Deutschland und stammen aus diversen Zukunftsszenarien anerkannter Institutionen. Sie sind nur eine grobe Abschätzung, die Zukunft lässt sich nun mal nicht exakt vorhersagen.
Einleitung
Wir haben heute in Deutschland einen jährlichen Endenergiebedarf von ca. 2.500 TWh/Jahr (1 Terrawattstunde = 1 Milliarde kWh) für Industrie, Verkehr, Haushalte und Gewerbe/Handel/Dienstleistungen. Dieser Wert ist seit 1990 kaum gesunken. Die Energie wurde zwar effektiver genutzt, Wirtschaftswachstum und Konsumsteigerungen haben aber einen Bedarfsrückgang verhindert. Zukünftig werden hoffentlich effizientere Technologien (z.B. Elektroantrieb statt Benziner/Diesel) und Energieeinsparungen (z.B. Wärmedämmung) diesen Gesamtenergiebedarf verringern, gleichzeitig wird der Anteil an elektrischer Energie steigen durch die sogenannte Sektorenkopplung. Beispiele: Häuser werden mit Wärmepumpen statt Öl/Gas beheizt, die Mobilität wird zum großen Teil elektrisch werden. Insgesamt wird sich somit der Strombedarf von heute ca. 550 TWh/Jahr auf geschätzt 1.000 TWh/Jahr erhöhen. Da wir aktuell ca. 50% des Stromes über erneuerbare Energien herstellen und sich der Strombedarf etwa verdoppeln wird ist klar, dass wir die 4-5 fache Menge an erneuerbarer Stromerzeugung benötigen im Vergleich zu heute. Die momentanen jährlichen Installationen müssen somit drastisch erhöht werden. Betrachtet ist bei den obigen Überlegungen auch noch nicht die Entkarbonisierung des Industriesektors wie z.B. Stahlherstellung mit Wasserstoff statt Kohle, Ammoniakproduktion, usw.. Der dazu benötigte Wasserstoff muss vermutlich in Zukunft zum großen Teil importiert werden, da die grünen Wasserstoff-Erzeugungskosten in Deutschland relativ hoch sind im Vergleich zu den Sonnenregionen der Erde.
Ein paar Grundlagen zur Windenergie
Mit Hilfe von Windkraftanlagen (WKA) wird die kinetische Energie der Luftteilchen in elektrische Energie umgewandelt. Die kinetische Energie ist proportional dem Quadrat der Geschwindigkeit und die Anzahl der Luftteilchen, die ein Windrad passieren, ist proportional zur Windgeschwindigkeit. Damit steigt die Windleistung mit der dritten Potenz der Windgeschwindigkeit. Dies erklärt auch warum die Standortwahl so wichtig ist. Eine um 10% höhere Windgeschwindigkeit bringt einen um etwa 33% höheren Stromertrag. Mit einem Windrad können bis zu 50% der Windenergie in elektrische Energie umgewandelt werden, physikalisch möglich wären maximal knapp 60%.
Neue auf dem Festland installierte Windkraftanlagen (Onshore-WKA) haben eine typische Leistung von ca. 4 Megawatt (MW) bei etwa 125 m Rotordurchmesser. Bis 2030 werden vermutlich auch 10 MW erreicht werden bei dann etwa 200 m Rotordurchmesser. Begrenzend für die Größe von Onshore-Anlagen sind vor allem die Transportmöglichkeiten zum Aufstellort und die Akzeptanz vor Ort.
Für die Energieernte sind neben der Leistung auch die erreichbaren Volllaststunden am jeweiligen Standort wesentlich. Unter Volllaststunden wird rein rechnerisch die Zeit verstanden, die ein Windrad mit voller Leistung arbeiten müsste, um die jährlich erzeugte elektrische Energie zu produzieren. Tatsächlich laufen Windräder sehr viel mehr Stunden, meistens nicht bei voller Leistung. In der Regel produzieren sie an 6.000 bis 8.000 Stunden im Jahr Strom (das Jahr hat 8.670 Stunden). Im Binnenland werden häufig Anlagen mit größeren Rotordurchmessern und kleineren Generatoren gebaut, um auch in schwächeren Windregionen eine hohe Volllaststundenzahl zu erreichen. Man verzichtet dabei auf einen höheren Ertrag bei hohen Windgeschwindigkeiten zugunsten besserer Erträge bei niedrigeren Windgeschwindigkeiten. Die Volllaststundenzahlen liegen im Binnenland typischerweise bei etwa 2.500 h/Jahr. Ein 4 MW-Windrad erzeugt somit im Jahr ca. 10 Millionen kWh Strom, was ungefähr dem Energieinhalt von 1 Million Liter Heizöl entspricht.
Wichtig für die Leistungsfähigkeit ist auch die Höhe des Turms, weil die Windgeschwindigkeit in Bodennähe oder über Wäldern stark abgebremst wird. Insbesondere in Wäldern muss deshalb der Turm eine entsprechend große Höhe haben. Wird ein Turm von 100 m Höhe um zehn Meter erhöht bei sonst gleicher Anlage erhöht sich der Energieertrag zwischen 5% und knapp 10%.
Bild 1: Leistungskurven
Die Leistung einer typischen Windkraftanlage mit 4,2 MW Maximalleistung und die Leistung des Windes in Abhängigkeit von der Windgeschwindigkeit.
Der mittlere Flächenbedarf für ein WKA liegt nach der Errichtung im Schnitt bei 3.500 qm, bedingt vor allem für die Aufstellfläche für einen Kran für Reparaturzwecke. Muss für die WKA Wald gerodet werden, dann muss der Investor als Ausgleichsmaßnahme an anderer Stelle neuen Wald anpflanzen.
Bei der Genehmigung einer WKA wird gefordert, dass der komplette Rückbau incl. Fundamententfernung durch eine Bankbürgschaft abgesichert ist. Ein typisches Windrad hat übrigens eine Fundamenttiefe von nur 3 bis 4 m.
Potential der Windenergie in Deutschland
2020 produzierten die in Deutschland aufgestellten knapp 30.000 WKA mit einer Gesamtleistung von ca. 55 Gigawatt (GW) 104 TWh Strom. Um die Klimaschutzziele zu erreichen müssen etwa 2% der Landfläche Deutschlands für WKA zur Verfügung gestellt werden, d.h. aber auch, dass 98 % frei bleiben von WKA! Auf 2% der Landfläche können etwa 40.000 große Windräder errichtet werden. Nimmt man an, dass in 10-15 Jahren ein WKA im Mittel 5 MW Leistung hat, ergibt dies insgesamt 200 GW Leistung. Bei einer Volllaststundenzahl von 2.500 h/Jahr lassen sich damit 500 TWh/Jahr elektrische Energie erzeugen.
Windparks unterliegen einem Ausschreibungsverfahren, wenn sie nach dem EEG vergütet werden sollen. In diesem Verfahren ist die jährliche Zubau-Menge begrenzt. Teilnehmen kann man nur, wenn schon eine Genehmigung für eine WKA oder einen Windpark vorliegt. Der Investor muss somit zunächst erheblich in die Planung investieren ohne die Sicherheit einer Zusage zu haben. Die erschwerten Genehmigungsverfahren, die anschließenden Klageprozesse und die großen Abstandsregeln haben zu einem Einbruch in den genehmigten Projekten geführt. Bundesweit wurden 2020 nur 770 Windräder genehmigt, das sind 40% weniger als 2015.
Neben den Onshore-Anlagen gibt es auch noch die Offshore-Anlagen in Nord- und Ostsee. Wegen der besseren Transportmöglichkeiten werden dort zukünftig viel leistungsfähigere Anlagen gebaut werden können. Während heute 8-MW-Anlagen üblich sind, sind schon WKA mit 15 MW in Planung. Ein weiterer Vorteil von Offshore-WKA sind die viel höheren erreichbaren Volllaststunden, bis zu 4.500 h/Jahr sind bei küstenfernen Standorten erreichbar. Die Planung sieht für Deutschland bis 2030 eine installierte Leistung von 20 GW Offshore vor. Ein erheblicher Kostenfaktor bei diesen Anlagen ist allerdings die Stromanbindung ans Festland.
Kombination von Windenergie und Photovoltaik (PV)
Bild 2: Mittlerer Jahresgang des Kapazitätsfaktors über Deutschland (1995-2015)
aus der Studie: „Deutscher Wetterdienst analysiert wetterbedingte Ertragsausfälle erneuerbarer Energien – Kombination Windkraft und Photovoltaik zeigt eindrucksvolle Effekte“, Vortrag 6.3.2018 Berlin.
Der Kapazitätsfaktor ist der tatsächlichen Ertrag einer Anlage im Verhältnis zur theoretischen Energieerzeugung auf Basis der Nennleistung. Die Grafik zeigt eindrucksvoll wie sich die Energieerzeugung von WKA und PV im Jahresverlauf sehr gut ergänzen. Während die Windenergie (blaue Kurve) vor allem im Winterhalbjahr dominiert, erzeugen PV-Anlagen (rote Kurve) ihre Hauptenergie im Sommerhalbjahr. Eine Kombination beider ergibt somit über das Jahr eine relativ ausgeglichene Kurve (schwarz). Bei dieser Grafik wurden die gleichen installierten Leistungen für Windenergie und PV angenommen und die Tageswerte wurden jeweils über die Jahre 1995-2015 gemittelt.
Mythen und Wahrheiten zur Windenergienutzung
- Artenschutz
Bei jeder Planung einer WKA müssen die Vorgaben zum Artenschutz, insbesondere zu Vögeln und Fledermäusen, eingehalten werden. Hierfür sind umfangreiche Untersuchungen zu den jeweiligen Standorten erforderlich. In vielen Fällen mussten bei kritischen Standorten die Planungen abgebrochen werden. Von Windkraftgegnern wird immer wieder vorgebracht, dass Fledermäuse, Rotmilane und andere gefährdete Vogelarten massenhaft durch WKA getötet würden. Schätzungen gehen davon aus, dass jedes Jahr durch Hochspannungsleitungen 2 Mio., dem Straßenverkehr 10 Mio. und durch Glasscheiben ca. 18 Mio. Vögel in Deutschland umkommen. Diese Tötungen werden allgemein akzeptiert. Es ist klar, dass auch durch WKA Vögel getötet werden. Wie viele es sind, kann nur geschätzt werden. Das Michael-Otto-Institut im Naturschutzbund Deutschland (NABU) schreibt in einer Studie: „Massenkollisionen an einzelnen Turbinen wie sie von Leuchttürmen oder ähnlichen Bauwerken bekannt sind, wurden an Windenergieanlagen nicht festgestellt.“ Im Mittel gebe es etwa 7 Opfer pro Turbine und Jahr. Bei 30.000 WKA wären das ca. 200.000 tote Vögel. Bei Rotmilanen senkt schon der geforderte Abstand zum Horst von 1 km das Tötungsrisiko erheblich. Um Fledermäuse zu schützen werden die WKA in gefährdeten Gebieten zu Zeiten abgeschaltet, zu denen ein hoher Fledermausflug zu erwarten ist.
- Infraschall
„Der Schall von WKA macht krank“. Mit diesem Argument wurde immer wieder versucht, den Bau solcher Anlagen zu verhindern. Als Argumentationshilfe diente eine Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe aus dem Jahr 2009. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass in dieser Studie der Schalldruck um den Faktor 10.000 (!) zu hoch angesetzt war. Messungen haben gezeigt, dass im Innern eines PKW der Infraschalldruck um Größenordnungen höher ist als der in der Nähe einer WKA.
- WKA sind nicht wirtschaftlich, die Herstellung kostet viel Energie
Bei den Ausschreibungen zu Onshore-Windparks werden aktuell ca. 6 Cent/kWh angeboten. Mit der technologischen Weiterentwicklung ist auch hier noch eine Kostenreduktion zu erwarten. Bei neuen Kohlekraftwerken läge der Wert ohne CO2-Abgabe auch bei etwa 6 Cent/kWh.
Moderne WKA erzeugen schon zwischen 5 bis maximal 12 Monaten so viel Energie wie für ihre Herstellung, Nutzung und Entsorgung benötigt wird.
- Windräder bieten keine Versorgungssicherheit
Bild 2 zeigt eindrucksvoll, dass eine Kombination von Windkraft und Photovoltaik im Mittel schon eine relativ gute gleichmäßige Stromerzeugung bieten kann. Hinzu kommen andere Energieerzeuger wie Biogasanlagen und die intelligente Steuerung von elektrischen Verbrauchern die einen Teil der Schwankungen ausgleichen können. Der restliche Ausgleich kann mit gespeicherter Energie z.B. in Form von grünem Wasserstoff erreicht werden. Eine Rückstromung kann dann mit Hilfe von Gasturbinen oder Brennstoffzellen erfolgen. In der nationalen Wasserstoffstrategie wird angepeilt, dass bis 2030 Elektrolyseleistungen zur Wasserstofferzeugung in Höhe von 5 GW in Deutschland installiert sind.
Windkraftgegner und Windkraftbefürworter
Bei der Planung und dem Bau von WKA treten häufig Befürworter und Gegner/Kritiker aufeinander. Viele Kritiker beteuern zwar, nichts gegen Windkraft zu haben „aber doch bitte nicht vor der eigenen Haustüre“ (das sogenannte St. Florians-Prinzip). Stehen die Windräder flaut in der Regel der Widerstand wieder ab. Neben den Gegnern, die für eine kritische Diskussion offen sind, gibt es auch eingefleischte und teilweise aggressive Opponenten, die für keine Diskussion zugänglich sind. Sie sind bundesweit teilweise gut vernetzt und erwecken den Eindruck, es gäbe massenhaft Menschen, die sich in hunderten von Bürgerinitiativen organisiert hätten. Eine aufwändige Recherche der Europäischen-Energiewende-Community hat ergeben, dass von den fast 850 Initiativen mit eigenem Internetauftritt derzeit nur etwa 290 aktiv sind. Auch die Bürgerinitiativen gegen Windkraft in Roßdorf und Ober-Ramstadt sind praktisch nicht mehr aktiv.
Nachdem in Deutschland das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) im Jahr 2000 verabschiedet war, wurden insbesondere die Installation von Windkraftanlagen und Photovoltaiksystemen massiv angestoßen. Dadurch ist vor allem bei der PV zunächst in Deutschland und dann weltweit innerhalb weniger Jahre ein riesiger Markt entstanden. Durch das steigende Volumen sind die Herstellungskosten drastisch gesunken. WKA und PV können mittlerweile weltweit, aber auch in Deutschland, konkurrenzlos günstig Strom produzieren. Deutschland hat durch seine Vorreiterrolle eine tolle weltweite Erfolgsgeschichte gestartet. Es ist unbestritten, dass mit den verfügbaren Technologien eine weltweite Energiewende innerhalb von 20-30 Jahren wirtschaftlich möglich ist. Leider wurde bei uns durch EEG-Änderungen der PV-Ausbau stark gebremst und die Windkraftprojekte scheitern vielfach an fehlenden Flächen und Klagen gegen neue Projekte. Bei beiden ist der Gesetzgeber gefragt, um bessere Voraussetzungen zu schaffen, sonst ist die Energiewende nicht zu schaffen. Viele Bürger*innen wollen Kapital in solche Projekte investieren, unsere Projekte in der Energiegenossenschaft Starkenburg sind regelmäßig weit überzeichnet. Die Politik muss sich endlich zu einem neuen Aufbruch durchringen, die Bevölkerung ist bereit, mitzumachen.